Nadja Thelen-Khoder

Der Stein verwandelt sich. Er sagt plötzlich „Ich“

In der Verwaltungsvorschrift vom 21. Mai 1969 zum Gräbergesetz vom 9. März 1969 (GräbGVwv) steht: „Auf dem Grabzeichen sollen in gut lesbarer, dauerhafter Schrift mindestens Vor- und Familienname, Geburts- und Todestag des Bestatteten, bei Ausländern auch die Staatsangehörigkeit angegeben sein.“


Healina Peretgutko und Sonja Krawzowa
(Photo vom März 2022 von Werner Sauter)

Auf diesem Grabstein – wie auf allen anderen Grabsteinen der sowjetischen Toten auf Meschedes Waldfriedhof - wurde weder der Geburts- noch der Todestag noch die Staatsangehörigkeit angegeben. Was bedeutet das?

Mit Vor- und Familiennamen, Geburtstag, Todestag und Nationalität des Toten fräße sich seine DNA in den Stein ein und der Stein spräche. Er sagte: „Hier! Hier wurde Maria Dmitrenko in die Erde gelegt. Ihre Mutter gebar sie am 29. Juli 1923, und auch ihr Vater beklagt ihren Tod am 16. September 1943. Hier liegt Maria Dmitrenko. Willst Du mehr wissen, suche nach ihr.“

       Und je länger man vor solch einem Stein steht, desto intensiver wird dieser Dialog. Der Stein verwandelt sich. Er sagt plötzlich „Ich“. „Ich liege hier. Willst Du wissen, wer ich war, wie ich leben mußte und warum ich mit 20 Jahren 1943 starb?“

„Ein Buch kann man zuschlagen und weglegen, Musik kann man ausschalten, und niemand ist gezwungen, ein Bild aufzuhängen, das ihm nicht gefällt. An einem Haus oder an einem Gebäude kann man nicht vorbeigehen, ohne es zu sehen. Architektur hat die größte sichtbare gesellschaftliche Wirkung.“ (Johannes Rau)

Und an einem Grabstein kann man auch nicht vorbeigehen, ohne ihn zu sehen. Falsch – kann man doch! Aber wenn man ihn sieht, kann ein echter Dialog entstehen.

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