Dr.-Ing. habil Volodymyr Saviovskyi

ALLES NEUE IST NUR GUT VERGESSENES ALTES UND DIE ARCHITEKTUR BESTÄTIGT ES

Wie die Geschichte zeigt, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Auch die praktischen Erfahrungen aufweisen, dass manche neuen Bautechnologien in vielen Fällen ein gut vergessenes Altes sind. Diese Tendenz kann man mit mehreren Mustern der Architektur demonstrierten. Es gibt ein alter Spruch: „Architektur ist eine eingefrorene Geschichte“. Die Bedeutung dieser Weisheit kann man mit einigen Beispielen erklären.

Ein der ältesten Beispiele sind die einfachen Wasserbrunnen, die bis heute in Betrieb sind. Unter einem Tiefbrunnen (oder Ziehbrunnen) versteht man eine meist senkrechte vom Menschen geschaffene Öffnung im Erdreich, die verrohrt sein kann. Im Norddeutschen nannte man gegrabene Brunnen früher auch „Sodbrunnen“ oder lediglich Sod, im Rheinland war der Begriff „Pütz“ (von franz. puits) gebräuchlich1.

Ziehbrunnen sind urtümliche Schächte, die seit den frühen Zeiten im Erdreich durch Holzkonstruktionen (Holzkasten) stabilisiert wurden. Neben der Verwendung der Hebelwirkung über den Schwingbaum, an dem Gegengewichte die Arbeit erleichtern, sind Räder, Seile und Zugtiere im Einsatz.

Die anderen Ziehvorrichtungen bestehen aus dem Zugseilauf – einem verhältnismäßig kleinen Rundholz, das aufgewickelt oder über eine Umlenkrolle gezogen wurde und an einem zweischläfrigen Querbalken aufgehängt war. Zum Beispiel, in Deutschland wurde von Archäologen in der Nähe von Leipzig vier 7000 Jahre alte Brunnen gefunden – die ältesten in Europa2, Abb. 1.

Dieser Fund beweist, dass Menschen einzigartige Holzbauwerke errichten konnten. Das lässt nach Angaben der Archäologen vermuten, dass der Lebensstandard damals insgesamt höher war als bislang gedacht. Forscher sind der Meinung, dass die Brunnen zu den ältesten erhaltenen hölzernen Bauwerken weltweit gehören. Bis zu neun Meter tief hatten die Menschen in der frühen Jungsteinzeit den Schacht mit Eichholz ausgekleidet. Sie spalteten die Stämme und fügten die Bretter dann mit komplexen Eckverbindungen zu kastenförmigen Schächten zusammen.

Ein anderes Beispiel ist die Entdeckungen in Hessen eines Brunnens, der in überraschend gutem Erhaltungszustand ist3, Abb. 1. Das Grabungsteam stieß auf einen rechteckig gesetzten Brunnenkasten, der aus miteinander verzapften und bearbeiteten Hölzern konstruiert war. Werkzeuge oder Elemente aus Metall gab es zu dieser Zeit noch nicht. An den Resten des Brunnens lässt sich deutlich das beachtliche handwerkliche Können erkennen, über das die Menschen bereits vor 9000 Jahren verfügten. In anderen Orten der Welt gibt es auch ähnliche Funde.


Abb.1 a – Eichenholzbrunnen bei Leipzig: Mit 7000 Jahren der bislang älteste Brunnen Europas
Foto: DPA/ Sächsisches Landesamt für Archäologie Dresden;
b – Der hölzerne Kastenbrunnen lässt das handwerkliche Können der Menschen
vor 7000 Jahren erkennen.
Foto: D. Sarnowski, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, hessenARCHÄOLOGIE

Aus Sicht des heutigen Bauingenieurgedankens kann man sagen, dass Menschen viele Jahre zurück die Wasserbrunnen mithilfe einzigartiger Bauverfahrenstechnik erbauten. Die wichtigste Frage der Bauer war, wie der Abbruch von Wänden der Brunnen bei der Bauarbeit und danach vermieden werden konnte. Setzen wir uns mit den Schritten der Bautechnologie auseinander.

Eines des verbreitenden Verfahrens war der Bau des Brunnenkastens aus Holz auf der Erde. Der Brunnenkasten war der regelmäßige Kubus mit der Kantenlänge von ungefähr 1,0 m. Dieser Kasten stand auf dem Platz des zukünftigen Brunnens. Dann grub der Meister den Grund im Inneren des Holzkastens aus. Parallel zur langsamen Senkung des Holzkastens in den Grund wurden auch die Wände angebaut, Abbildung 2.

Wenn die sinkende Oberseite des Brunnenkastens die Oberfläche des Bodens erreichte, wurde auf ihn der nächste Holzkasten draufgesetzt und der Bauvorgang wiederholt. Um den ausgegrabenen Boden auf die Oberfläche und den Arbeiter zu heben, wurde eine Hebevorrichtung installiert. Zu diesem Zweck konnten die Schwingbäume oder Räder mit Seilen eingesetzt werden, wie ich es schon oben erwähnt habe.

 
Abb.2 Bauverfahrenstechnik des Baues von Holzbrunnen

Das war die Geschichte. Nach tausenden Jahren hat heute die obengenannte Bautechnologie ein neues Leben bekommen. In modernem Bauwesen ist es jetzt die weltberühmte Bautechnologie, die der Offene Senkkasten genannt wird. Ein Senkkasten ist ein Kasten, der als Fundament oder als Arbeitsraum unter dem Erdreich oder unter der Wasseroberfläche versenkt wird. Das Verfahren wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts weithin bei Unterwasserarbeiten eingesetzt.

Senkkästen sind die älteste Art von Tiefgründungen. Schon im Altertum wurden Hafenbauten und Brücken mittels Senkkästen gegründet. Heute werden Senkkästen vornehmlich für Bauwerke im und unter dem Grundwasserbereich verwendet. Dabei werden sie im Endausbau für die unterschiedlichsten Aufgaben eingesetzt. So sind Pumpstationen eines Grundwasserwerkes mittels Senkkasten hergestellt worden. Häufig ist der Kasten eine rechtseckige, ovale oder ringförmige Konstruktion aus Stahlbeton. Die Abmessungen moderner Konstruktion können von 10 bis 50 Meter und ungefähr 50 Meter tief sein. Der offene Senkkasten senkt sich im Zuge des Aushubes auf Grund seines Eigengewichtes ab. Der Aushub wird von oben her mit einem Bagger vorgenommen und mit Kran gehoben, Abb.3.

Die Reibung zwischen Baukörper und umgebendem Erdreich vermindert ein mit dem Lehmmörtel (Bentonit) gefüllter Ringspalt. Eine Wasserhaltung ist bei diesem Verfahren nicht erforderlich, da es auch unter Wasser ausgehoben werden kann. Anschließend kann das im offenen Senkkasten verbliebene Grundwasser abgepumpt und der Innenaufbau kann nach statischen Grundsätzen betoniert werden.

Abb.3. a – Formen der Offenen Kästen; b – Bauverfahren des offenen Senkastens:
1 – Schneide; 2 – Baukörper des Kastens; 3 – mit Bentonit gefüllter Ringspalt; 4 – Vorschacht;
5 – Grundwasserstand; 6 – Greifer; 7 – Kran

Heute gibt es viele Beispiele für Verwendung von Senkasten. Zum Beispiel, die vertikalen Ausschachtungen der U-Bahn-Strecken in Amsterdam, Bahnhof in Berlin, Alter Elbtunnel in Hamburg und vieler anderen Bauwerke wurden komplett mittels der Senkkästen erbaut. Also, die urtümliche Bauverfahrenstechnik hat ein neues Leben erhalten.

Ein anderes Beispiel führt uns in Rom. In älteren Zeiten gab es ein Sprichwort: „Alle Wege führen nach Rom“. Warum? Weil ungefähr zwei Tausend Jahren zurück das Römische Reich dank seinen Bauten weltberühmt war. Wirklich, zeigt die Architektur, wie die eingefrorene Geschichte, die Meisterschaft der alten Baumeister und Architekten in vielen Bauwerken und architektonischen Denkmälern.

Das sind Viadukte, Thermen, Amphitheater und andere Bauwerke. Viele alte Bauwerke, die aufbewahrt werden, kann man heute sehen. Als Amphitheater wurde in der Antike zunächst ein Gebäude bezeichnet, bei dem um den Ort einer Vorführung herum Zuschauerränge errichtet worden waren. Später bezog es sich lediglich auf die Aufführungsstätte der Gladiatorenkämpfe und Veranstaltungen der großen Theateraufführungen sowie sportlichen Wettkämpfe.

Einer der bekanntesten Amphitheater der Antike ist das „Flavische Amphitheater“ in Rom, das später „Kolosseum“ genannt wird. Heute sind die Ruine des Bauwerks eines der Wahrzeichen der Stadt und zugleich ein Zeugnis für die hochstehende Baukunst der Römer in der Antike, Abb. 4-a.

Kolosseum wurde zwischen 72 und 80 n. Chr. während der Regierungszeit des Kaisers Vespasian und seines Sohns und Nachfolgers Titus errichtet. Das Kolosseum ist ellipsenförmig gebaut. Seine Breite beträgt 156 Meter, die Länge 188 Meter, die Höhe 48 Meter. Auch der Boden der Arena war elliptisch mit einer Breite von 54 Metern und einer Länge von 86 Metern. Den Boden der Arena bildeten Holzbohlen, die sich nach Bedarf entfernen ließen. Darunter befanden sich die Kellerräume und das 7 Meter dicke Fundament4.

Die Bauverfahrenstechnik des Baues dieser Bauwerke umfasst viele überraschende und ungewöhnlichen Vorgänge und Baumaterialien. Die Außenmauern des Kolosseums wurden in römischem Travertin ausgeführt, im Inneren wurden jedoch die billigeren Ziegel und Tuff verwendet. Einer der Geheimnisse der Baukonstruktion sind die Stürze auf den Fenstern und Türen, die aus so dem genannten „römischen Beton“ hergestellt wurden, Abb. 4-b. Noch deutlich älter als Beton ist übrigens der Baustoff Mörtel. Untersuchungen an uralten Bauwerken haben ergeben, dass bereits vor 7.000 - 10.000 Jahren auf dem Gebiet der Türkei und des Israels Mörtelgemische verarbeitet wurden. Sie bestanden aus feinen Gesteinskörnungen, die durch Kalk und Wasser erhärtet wurden. Es handelt sich um berühmten Beton „opus caementitium“ (etwa: „Werk aus Bruchsteinen“). Aber er hat nichts mit dem heutigen Bindemittel Zement zu tun. Es ist in meisten Fällen fester als die heutigen Baubindemittel.

Der Schlüssel lag in einem Stoff, einer Mischung aus Sand, Wasser, gebranntem Kalk und Steinbrocken, die sich wie moderner Beton beliebig formen ließ und eine erstaunliche Festigkeit an den Tag legte. Doch im Gegensatz zu modernem Beton erwies er sich als deutlich haltbarer. Warum noch immer den Elementen trotzen? Die Druckfestigkeiten des Römischen Betons liegen heute zwischen rd. 5 und rd. 40 N/mm². Vielleicht waren es die Vulkanaschen, die dem römischen Beton seine außerordentliche Festigkeit verliehen.

Die Form des Bauteils ergab sich durch eine Schale aus vorher ausgemauerten Steinen und Ziegeln oder durch eine Schalung aus Holzbrettern und -Balken. Es gibt viele Theorie, wie altertümlichen Baumeister diesen Baustoff entwickelt haben, aber alle Varianten sind nur Vermutungen5. Es handelt sich nicht nur um das Kolosseum aber auch um andere Römische Bauwerke und Gebäude, die ohne moderne Fachkompetenzen errichtet worden sind. So überspannt z.B. die Kuppel des vom Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert restaurierten Pantheon-Tempels in Rom mit dem Durchmesser von 43,3 Meter; sie ist bis heute erhalten geblieben, wie viele andere Bauwerke.


Abb. 4. a - Flavisches Amphitheater“ „Kolosseum“ in Rom;
b – Römischer Beton, Bohrkern aus dem Gewölbe des Amphitheaters Trier.
Foto: Archiv Verlag Bau+Technik GmbH, Prof. Dr.-Ing. Heinz-Otto Lamprecht

Mit dem Untergang des Römischen Reiches gerieten auch die Betonbauweisen der Römer zunehmend in Vergessenheit. Nach vielen Jahren, nur im Mitte der 19 Jahrhundert wurden moderne Beton und Stahlbeton erfunden.

Erst im 19. Jahrhundert führte die Erfindung des modernen Zements zur Wiederbelebung des Betons. 1824 brannte erstmals der Maurer Joseph Aspdin Ton und Kalk zum Zement. 20 Jahre später gelang es Isaac Charles Johnson die Rezeptur von Aspdin entscheidend zu verändern, indem er die Ausgangsstoffe Ton und Kalk bei höheren Temperaturen bis zum Schmelzpunkt brannte. Nach der Abkühlung entstanden dadurch steinartige Klinker. Das gemahlene Material ergab einen pulverförmigen Zement, der im Wesentlichen der Variante glich, die bis heute als Portland-Zement eingesetzt wird. Seitdem gibt es ein neues hydraulisches Bindemittel, das im Vergleich mit den Puzzolanen der Römer den großen Vorteil hat, dass es deutlich schneller trocknet6. Ein alter Baustoff kam in veränderter Form neu in Mode. Die Renaissance eines Klassikers sozusagen.

Der verbreitete Beton hat jetzt eine Druckfestigkeit rd. 4 – 40 N/mm². Heutzutage hat Beton eine höhere Festigkeit, aber die Formel oder Komposition des „römischen Betons“ bleibt noch ein Rätsel. Diese kurze Geschichte bestätigt die Glaubwürdigkeit der Aussage, dass es nichts Neues unter der Sonne gebe. Es sieht wie eine Gesetzmäßigkeit aus. Nicht wahr?

Ein anderes Beispiel führt uns in die Architektur des alten Ägyptens. Die weltberühmten ägyptischen Pyramiden sind die einzigen der erhaltenen so genannten sieben Weltwunder. Die älteste und die größte unter ihnen ist die Cheops-Pyramide, die deshalb auch als die „Große Pyramide“ bezeichnet wird, Abb.5. Die höchste Pyramide der Welt wurde als Grabmal für den ägyptischen König (Pharao) Cheops (altägyptisch Chufu) während etwa 2620 bis 2580 v. Chr. Errichtet7. Ihre ursprüngliche Seitenlänge wird auf 230,33 m und die Höhe auf 146,59 m berechnet.

Damit war sie rund viertausend Jahre lang das höchste Bauwerk der Welt. Ihr Größenverhältnis wurde in sehr hoher Genauigkeit vorgenommen, dass in den nachfolgenden Bauten nicht mehr erreicht werden konnte. Es ist genau nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet, und der Unterschied in den Längen ihrer vier Seiten beträgt weniger als ein Promille.

Als Baumaterial diente hauptsächlich örtlich vorkommender Kalkstein. Für einige Kammern wurde Granit verwendet. Die Verkleidung der Pyramide bestand ursprünglich aus weißem Tura-Kalkstein, der im Mittelalter fast vollständig abgetragen wurde8. Bereits der antike Historiker Herodot von Halikarnassos befasste sich mit der Cheops-Pyramide. Er lebte über 2.000 Jahre nach dem Bau der Pyramiden. Herodot bezog seine Informationen teilweise aus zweifelhaften Quellen und aus der Sicht eines Griechen schrieb.

Herodot, den Cicero als „Vater der Geschichtsschreibung“ und Erzähler „zahlloser Geschichten“ bezeichnete, verfasste im 5. Jahrhundert v. Chr., ein neun Bücher umfassendes Geschichtswerk, die sogenannten Historien. Mit ihm nahmen bis heute andauernde Irrungen und Wirrungen über die Pyramide ihren Anfang. Der Autor dieser Abhandlung hat auch eine andere Meinung als Herodot, bezüglich der Bauverfahrenstechnik der Cheops-Pyramide. Meiner Meinung nach, ist es heutzutage sehr schwierig, mit Hilfe moderner Baumaschinen, Ausrüstung und Technik ein ähnliches Bauwerk zu bauen.


Abb. 5. Cheops-Pyramide. Foto: Artem Scheller

Halten wir uns jedoch an Herodots Geschichte als die älteste und weithin anerkannte. Der Bau von Pyramiden hat eine Vielzahl von ungelösten Rätseln. Hier werden wir uns nur mit einem Aspekt auseinandersetzen – dem Bauprozess. Das ist der Transport von Baulasten. Ursprünglich war die Pyramide nicht mit poliertem Kalkstein, sondern mit Basalt oder Granit verkleidet. Die Fugen zwischen Blöcken sind an den Außenseiten weniger als einen halben Millimeter breit und wurden mit einem halbflüssigen Gips-Mörtel verfüllt. Die Außenseiten sind dadurch nicht mehr glatt, sondern stufenförmig. Allerdings sind viele dieser Steine herausgebrochen und später für den Bau von Gebäuden in Kairo wiederverwendet worden. Die Steinblöcke, aus denen die Pyramide errichtet wurde, hatten geschätzt ein Gewicht (in den obersten und untersten Schichten) von 1,3 bis 3 Tonnen. Für die Konstruktion der Königskammer mussten aber auch vierzig bis siebzig Tonnen schwere Blöcke aus Granit in eine Höhe von etwa 70 m transportiert werden.

Nach Herodot wurde die Cheops-Pyramide 30 Jahre lang gebaut. Davon dauerte es nur 10 Jahre, bis der Weg zur Baustelle gebaut wurde. Der Weg wurde aus Stein angelegt und mit Ton gesäumt. Die Steinblöke wurden zum Ort auf einem Holzschlitten gezogen, Abb.6. Um die Reibungskräfte beim Schlittenfahren mit Steinblöcken zu reduzieren, wurde der der Ton mit Wasser bewässert. Danach rutschte der Schlitten leicht über die Wege. Sehr praktischer Verfahrensweise. Nicht wahr?


Abb.6. Die Steinblöcke wurden auf einem Holzschlitten gezogen

Nach einigen tausend Jahren begann man diese Art der Bewegung von Baulasten, Gebäuden und Bauwerken im modernen Bau anzuwenden. Die Verschiebung von Gebäuden und Bauwerken erfolgt im Falle des Wiederaufbaus von Gebieten, in denen es notwendig (zweckmäßig) ist, einzelne Objekte aufgrund ihres wirtschaftlichen oder architektonischen Wertes zu erhalten.

Ein prominentes Beispiel ist die Bewegung der neuen Einhausung des Kernkraftwerks Tschernobyl in der Ukraine9. Nach dem Unfall im Jahr 1986 wurde über dem zerstörten Block des Kraftwerks ein Sarkophag errichtet. Dieser ist nicht mehr sicher / zuverlässig. Daher wurde 2012 mit dem Bau einer neuen Überdachung (Schutzhülle „New Safe Confinement“) begonnen. Die Breite der Bogenstruktur beträgt 257 m, die Länge 162 m und die Höhe 108 m., Abb. 7-a.

Das Gesamtgewicht der Struktur beträgt 36.200 t. Die Oberfläche der Struktur (Bogen) beträgt 86.000 m2. Der Vorgang des Bewegens der Struktur wurde unter Verwendung eines Hebesystems durchgeführt. Nach Abschluss der Errichtung der Einhausung wurde im Jahr 2017 in die geplante Position - über der bestehenden Einheit – verschoben. Der Bogen wurde auf den extra Schlitten geglitten. Die Schlitten wurden auf den speziellen Teflonplatten bewegt, Abb.7-b, c. Die Adhäsion der Platten ist kleiner als das des schmelzenden Eises. Die Geschwindigkeit des Bewegens betrug 10 m/h. Der Bogen wurde innerhalb von 3 Tagen um 330 Meter verschoben. Der Bogen war zum Zeitpunkt des Baus die größte mobile Konstruktion der Welt.

Abb.7: Verschieben der neuen Schutzhülle „New Safe Confinement“ in Tschernobyl (Ukraine)
in die Entwurfsposition:
a – Schutzhülle „New Safe Confinement“; b – Verschiebungssystem; c – Teflonplatte

So finden die Bautechniken der Vergangenheit ihren Eingang in das moderne Leben und sie solche Tendenzen sind kennzeichnet für die Gegenwart. Unter Berücksichtigung der ägyptischen Bauten machen Hieroglyphen auf den Oberflächen von Bauwerken und Papyrus auf sich aufmerksam. Wer hätte es noch vor kurzem für wahr halten können, dass die Kommunikation zwischen Menschen wiederholt in Form von Hieroglyphen – heutigen Smileys im Internet verbreitet wird? Wie die Geschichte der Antike zeigt, die in architektonischen Gebäuden gebacken ist, ist das Neue in manchen Fällen nur ein gut vergessenes Altes.

Die Menschen wissen noch ein weltberühmtes Baurätzel, das Stonehenge genannt wird. Stonehenge ist das vor über 4000 Jahren errichtete Bauwerk in der Nähe von Amesbury, England10. Es besteht aus einem ringförmigen Erdwall, in dessen Innerem sich verschiedene, um den Mittelpunkt gruppierte Formationen aus bearbeiteten Steinen befinden, Abb. 8. Die Steine nennt man Megalithen. Die auffälligsten unter ihnen ist der große Kreis aus stehenden Quadern und das große Hufeisen aus solchen Säulen, die man durch je einen aufgelegten Deckstein miteinander verband, die sogenannten Trilithen. Die Steinblöcke wurden aus grünem Sandstein, Dolerit oder Basalt angefertigt. Die Blöcke haben die Höhe von über 5 m und wiegen sie bis zu 50 Tonnen.

Über den Anlass und letztlichen Zweck dieser höchst aufwendig konzipierten Anlage existieren verschiedene, einander teils ergänzende, teils auch sich widersprechende Hypothesen. Vermutlich wurde Stonehenge als Kultstätte oder eine religiöse Begräbnisstätte oder ein astronomisches Observatorium inklusive Kalender für die Saat- und Erntezeiten benutzt. Zurzeit bleibt es Geheimnis.


Abb. 8. Stonehenge

Forscher haben zahlreiche Hypothesen über Stonehenge, aber wir interessieren uns für den zeitgenössischen Engineering-Gedanken, wie sie gebaut wurden. Wie wurden die gewaltigen, mehrtonigen Steine zur Baustelle transportiert, in die vertikale Position gebracht und die horizontalen Blöcke oben gestapelt? Die Forscher vermuten, dass die Steine auf Schlitten wie obengenannte Steinblöcke der Pyramiden transportiert wurden. Berechnungen zeigen, dass etwa 250 Personen benötigt werden, um Steine mit einem Gewicht von 10 Tonnen auf Schlitten zu transportieren. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Steine aus einem Steinbruch geliefert wurden, der 200 km von Stonehenge entfernt lag! Das war sehr arbeitsaufwendig.

Es wird vermutet, dass A-förmige Holzrahmen um die Megalithen aufzurichten und mit Seilen in eine senkrechte Position zu verschieben, Abb.9. die Decksteine (Trilithen) könnten zum Beispiel mit Holzplattformen schrittweise angehoben und dann in der Höhe auf ihren Platz geschoben worden sein. Alternativ könnten sie auch über eine Rampe nach oben in Position geschoben oder gezogen worden sein. Das war die vermutliche Geschichte der Bauverfahrenstechnik, mit der Stonehenge gebaut worden war.


Abb.9. Bauverfahrenstechnik der Aufstellung von Megalithen
durch Schwenkung mit A-förmigem Holzrahmen

Zurück zur Gegenwart kann man feststellen, dass die altertümliche Bauverfahrenstechnik ein neues Leben im modernen Bauwesen finden.

Ein anderes Beispiel für den primitiven Einsatz der obengenannten Methode, um massive und hohe Konstruktion in eine vertikale Position zu bringen, ist die sogenannte moderne Schwenkmethode11. Die horizontale Struktur wird bei dieser Methode mit Hilfe von Zugmitteln in eine vertikale Position geschwenkt. Diese Bauweise wird heute bei der Errichtung von Turmkonstruktionen wie Netzstützen, Radio- und Fernsehantennen, mobilen Antennen, Schornsteinen usw. eingesetzt. Das Verfahren besteht darin, die gesamte Struktur auf dem Boden in einer horizontalen Position zusammenzubauen und dann mit Traktoren oder mit Winden in die Entwurfsposition zu drehen. Der untere Teil der Turmkonstruktion ist in Scharnieren befestigt, die auf den Fundamenten installiert sind. Das Anheben in vertikaler Position erfolgt um das Scharnier herum mit Hilfe von Winden mit der Rollenzugen und dem sogenannten „fallenden Mast“. Montage-, oder „fallenden Mast“ wird häufiger A-förmig durchgeführt, Abb.11, Abb.12. Abb.11.

Das Schema der Montage der Turmkonstruktion durch Schwenkung mit Traktoren:
1 – Turmkonstruktion; 2 – Hubseile; 3 – „fallender Mast"; 4 – Rollenzug; 5 – Anker;
6 – Scharnier (vorübergehende Unterstützung); 7 – das Fundament des Mastes


Abb.12. Das Schema der Aufstellung des räumlichen Freileitungsankermasts durch die Schwenkmethode

Wie bereits erwähnt, der Bau von Turmkonstruktionen durch Schwenkmethode ermöglicht es, sie ohne Einsatz von Kränen zu errichten. Diese Methode ermöglicht es, qualitativ hochwertige und sichere Arbeiten an der Installation von Hochanlagen auf dem Boden durchzuführen. Die Konstruktion wird nicht nur komplett auf dem Boden gefaltet und lackiert, sondern auch die meisten technologischen Geräte, Kabel und Verkabelung können auch in horizontaler Position montiert werden.

Zur diesen Bauverfahrenstechnik gibt es viele andere Beispiele. Ein von solchen ist die Errichtung von zeltförmigen Strukturen in Form einer schrägen Jurte „Khan Shatyr“ in Astana (Kasachstan)11, Abb. 13. Gebäude „Khan Shatyr“ wurde 2010 gebaut. Jetzt ist es das höchste Zugtragwerk der Welt. Das Gebäude ist eine pyramidenförmige Struktur mit einer Grundgröße von 250 m und einer Höhe von 151 m. Die Baufläche beträgt 127000,0 Quadratmeter. Das Gebäude dient als Kultur-, Unterhaltungs- und Einkaufskomplex, der gleichzeitig etwa 10.000 Besucher aufnehmen kann.


Abb.13 Zeltgebäude „Khan Shatyr“ in Astana (Kasachstan)

Vertikale Lagerkonstruktionen von 3 Stützen wurden in horizontaler Lage am Boden montiert und anschließend in der Entwurfsposition eingebaut (gedreht), Abb.14. Zur gleichen Zeit wurden zwei Stütze am Fundament gelenkig befestigt, und die dritte Stütze wurde auf einem Eisenbahngleis platziert, mit der Fähigkeit, beim Heben zu gleiten. Dies ermöglichte es, diese Stütze von der horizontalen in die Entwurfsposition zu bringen.

Um die fertige Konstruktion zu drehen, wurde ein vertikaler Hilfsmast installiert, an dessen Spitze 16 spezielle hydraulische Hebebocken befestigt wurden. Nach der Befestigung der Stahlseile des Hubseils an den Ankern des Fundaments, ihre Spannung an den Hebebocken begann. Jeder Zyklus der Arbeit des Hebebockens erhöhte die Konstruktion der Stützen um 50 cm. Als sich die beiden Stützen drehten, erreichte die dritte frei gleitende Stütze auf Schiene den konstruktiven Träger und wurde am Fundament befestigt. Nach dem vollständigen Schwenken der Strukturen der Stützen wurde die 150 Meter Struktur in der Projektposition platziert, Abb.15. Die bewegten Konstruktionen der Stützen wiegen ungefähr 2.000 Tonnen. So finden die Bautechniken der alten Baumeister ihre Anwendung in der heutigen Bauweise.

 Abb. 14. Schema der Vorbereitung der Aufstellung von Stützstrukturen durch die Schwenkmethode

 
Abb.15. Nach der Aufstellung der tragenden Konstruktion des Gebäudes

Die Baupraxis und die vorhandenen Denkmäler der Antike geben uns viele andere Beispiele. Aber das Fazit ist dasselbe: Alles Neue ist ein gut vergessenes Altes. Man kann nur staunen über die Meisterschaft der Vergangenheit. Dies lässt den Schluss zu, dass es notwendig ist, die Geschichte im Detail zu studieren, architektonische, konstruktive und technologische Lösungen zu betrachten, die unsere Vorfahren angewandt haben. Dies weist auf mögliche Wege hin, die in Zukunft technologische Lösungen verbessern können.

Quellen:

1. Brunnen https://de.wikipedia.org/wiki/Brunnen#cite_note-9 23.02.2022

2. Archäologen entdecken 7000 Jahre alte Brunnen https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/archaeologie-7000-jahre-alte-brunnen-bei-leipzig-entdeckt-a-874036.html 28.02.2022

3. Steinzeitlicher Holz-Brunnen entdeckt https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/steinzeitlicher-holz-brunnen-entdeckt/ 23.02.2022

4. https://de.wikipedia.org/wiki/Kolosseum 01.03.2022

5. https://www.welt.de/geschichte/article166474367/Warum-der-Beton-der-Roemer-haltbarer-war-als-moderner.html

6. Die Geschichte des Baustoffes Beton https://www.baustoffwissen.de/baustoffe/baustoffknowhow/grundstoffe-des-bauens/baustoff-beton-geschichte/

7. Herodot: Historien II, 126; Zitiert nachfolgender Ausgabe: Herodot: Neun Bücher zur Geschichte. Mit einer Einleitung von Lars Hoffmann. (Nach der Übersetzung von Dr. Chr. Bähr, Berlin-Schöneberg 1898) Marixverlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-86539-142-1, S. 206.

8. https://de.wikipedia.org/wiki/Cheops-Pyramide

9. Volodymyr Saviovskyi. Instandsetzung von Gebäuden und Bauwerken. Verlag: BoD-Boks on Demand, Nordestedt, 2021

10. https://de.wikipedia.org/wiki/Stonehenge

11. Saviovskyi V., Molodid O. Errichtung von besonderen Gebäuden und Bauwerken: Lehrbuch. – Kiev.: Lira-K Verlag, 2018.-248 Seiten. (Ukrainisch).

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