„Aufruf an Zeitzeugen – Wer kann helfen?“
Benedikt Schülter: „Suche nach toten Zwangsarbeitern“
„Westfalenpost, Zeitung für das Hochsauerland“, 16.11.2021
Abschrift:
„Suche nach toten Zwangsarbeitern
Nach Kriegsende soll ein Mann aus Padberg zwei sowjetische Zwangsarbeiter im
Rheneggerfeld erschossen haben. Historiker suchen das Grab und bitten um Hilfe
Von Benedikt Schülter
Padberg/ Rhenegge. Es waren wirre Zweiten in diesen Sommertagen 1945, als sich ein Mann aus Padberg und dessen Bekannte[r] mit einem Eselskarren vom waldeckischen Rhenegge in Richtung Padberg Auf der Rhenegger Höhe befanden. Im Morgengrauen hatten sie wenig Interesse daran, von amerikanischen oder britischen Besatzungssoldaten entdeckt zu werden. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt in mehrere Besatzungszonen aufgeteilt. Padberg lag im britischen Sektor, Rhenegge im amerikanischen. Vermutlich versuchten die beiden Männer damals[,] Getreide über die unsichtbare Sektorengrenze zu schleusen –als plötzlich zwei sowjetische Zwangsarbeiter aus einem kleinen Wäldchen auftauchten.
Etwa[] 25 Jahre später sitzt einer der Männer [a]bends in der Dorfkneipe. Gemeinsam mit der Dorfjugend kippt man ein Bier nach dem anderen. Und der Mann wird immer redseliger. Er prahlt mit der Tötung der beiden Zwangsarbeiter. Der Bekannte hätte beide mit einer Pistole erschossen. Schließlich habe man sie im Wäldchen auf amerikanischem Gebiet [] verscharrt, so der Mann. Das könne er auch beweisen. ,Ich kann euch heute noch zeigen, wo es war’, soll er gesagt haben. Das ließen sich ein paar Kneipenbesucher nicht zweimal sagen und fuhren, ausgerüstet mit Schaufeln und Spaten, zu der Stelle und gruben. Der Freund des mutmaßlichen Täters hatte nicht gelogen. Sie fanden noch die sterblichen Überreste der beiden Getöteten – samt Kleidung. Dann verscharrte man die Leichen wieder.“
Ganz groß und fett: „Das sind Geschichten, die uns Historiker sehr berühren.“ Marcus Weidner, Historiker am LWL-Institut
„Marcus Weidner schüttelt den Kopf: ,Diese Szenerie muss wirklich makaber gewesen sein’, sagt er und lässt seinen Blick über die malerische Landschaft zwischen Padberg und Rhenegge schweifen. Weidner ist Mitarbeiter des LWL-Institutes für westfälische Regionalgeschichte. Gemeinsam mit Henning Borggräfe von den Arolsen Archives möchte er Licht ins Dunkel bringen. Auf den Fall sind sie aufgrund eines Zeitungsartikels aufmerksam geworden. Auch mit Zeitzeugen haben sie gesprochen.
Gemeinsam mit dem hessischen Landesamt für Denkmalpflege und ehrenamtlichen Sondengängern möchte man nun die Überreste der Toten finden.
Sogar die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt und die Kriminalpolizei hat sich in den Fall eingeschaltet. Zwei Beamte unterstützen das Team mit ihrer Expertise.
,Es ist uns ein ethisches Anliegen. Außerdem sind wir als Historiker an der Klärung dieser Geschichte interessiert`, sagt Borggräfe. Dazu suchen sie an diesem Donnerstag und Freitag das kleine Wäldchen am möglichen Tatort ab. Vier ehrenamtliche Sondengänger lassen ihren Metalldetektor über den Boden kreisen – bei einem Piepsen des Geräts wird geschaut, ob es sich um eine mögliche Spur, einen Hinweis auf das Geschehen handelt. Wolfgang Poguntke ist ein erfahrener Sondengänger. Seit 40 Jahren unterstützt er nun schon das LWL. ,Sie suchen die Nadel im Heuhaufen und am Ende müssen die das Gefundene wie in einem Puzzlespiel zusammensetzen’, sagt er.
Suche bleibt vorerst erfolglos
In jedem Fall hat das Team schon etwas finden können – auch interessante Artefakte, die vielleicht weiterhelfen können. Weidner zieht zwei Gegenstände aus kleinen Plastiktütchen. In seiner Handfläche sind die beiden verrosteten Gegenstände gut zu erkennen: eine Gürtelschnalle und eine Patrone. Könnten sie etwas mit dem Tod des Zwangsarbeiters zu tun 3 haben? Insgesamt finden sie zwei Pistolen-Projektile sowie eine Patronenhülse und eine Bleikugel. Diese werden später in einem Labor noch einmal genauer untersucht. Derweil suchen Rolf-Jürgen Braun und Susanne Güttler vom hessischen Landesamt für Denkmalpflege den Boden nach möglichen Gräbern für die beiden Opfer ab – und zwar genau dort, wo die Sonde von Poguntke angeschlagen hat. Mit Hilfe eines Vermessungsgeräts [] kartieren sie dann die Stellen, die sie schon abgesucht haben. Besonders die Beschaffenheit des Bodens spielt dann eine entscheidende Rolle, erklärt Güttler. Der helle Waldboden sei hart und hell. Stoße man dann auf lockereren, dunklerer Boden, könne das ein Hinweis auf eine Verfüllung sein – also eventuell eine Stelle, wo man jemanden oder etwas begraben habe. Doch bis auf die Artefakte blieb die Suche auf dem 50 mal 100 Meter großen Areal nach den beiden Getöteten am Donnerstag und Freitag erfolglos. Doch so schnell wolle man nicht aufgeben, erklären die Historiker Weidner und Borggräfe.
Vielleicht habe man Glück und finde noch Gegenstände wie beispielsweise eine Erkennungsmarke oder noch Papiere der Zwangsarbeiter. Das[] sei durchaus auch noch nach so vielen Jahren möglich. Man erhoffe sich nun Hilfe von Zeitzeugen, die eventuell Hinweise über [den] genaueren Liegeort der Zwangsarbeiter geben können. Der Einsatz von speziell geschulten Hunden sei auch möglich, sagt Borggräfe. Man wolle außerdem die historisch falschen Behauptungen entkräften, dass ehemalige Zwangsarbeiter damals plündernd und raubend durchs Land zogen. Vereinzelt habe es das gegeben, aber der Großteil habe sich nicht so verhalten. Die Not nach dem [] Krieg sei groß gewesen. Und auch Deutsche hätten geplündert, um zu überleben, so Weidner. Mit der Suche nach den Opfern wolle man auch herausfinden, ob die Behauptung der beiden Männer, in Notwehr gehandelt u haben, zutreffend gewesen sei oder sich das Geschehen ganz anders zugetragen habe[].
In jedem Fall wolle man die Gebeine der Opfer finden und deren Identität lären. Damit man sie würdig bestatten kann. ,Das sind Geschichten, die uns Hostopriker sehr berühren’, sagt Weidner.“
Unter drei Photos steht: „Henning Borggräfe (von links) Wolfgang Poguntke und Marcus Weidner an einer Fundstelle; der Feldweg[,] auf dem sich die Vier begegneten; Wieder zeigt eine Gürtelschnalle und eine Patrone. Foto: Benedikt Schülter“
Ganz groß und fett in einem Kästchen:
„Aufruf an Zeitzeugen – Wer kann helfen?
Damit die Historiker präziser nach den Gebeinen der Getöteten suchen können, bitten [s]ie um Hinweise von Zeitzeugen. Wer kann etwas über das Geschehen berichten oder war sogar in jener Nacht dabei [], als der Padberger die verscharrten Leichen präsentierte [?].
Infos bitte an Henning Borgrräfe von den Arolsen Archives unter Tel. 0569 – 629 325 oder unter https://arolsen-archives.org/.
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