„Wer Bücher verbrennt, der verbrennt am Ende auch Menschen“
Zum 10. Mai 1933-80
Heute vor 80 Jahren, nur vierzehn Wochen nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten durch deutsch-nationale Kreise, wurden in Deutschland auch vor deutschen Universitäten Bücher öffentlich verbrannt (1).
Die Deutschen, die nach 1945 häufig „von allem nichts gewusst“ haben wollten, sahen zu, wie auf gigantischen Scheiterhaufen die Crème-de-la-Crème der deutschen Literatur den Flammentod erlitt: „Wer Bücher verbrennt, der verbrennt am Ende auch Menschen“, hatte ihnen schon Heinrich Heine ins Stammbuch geschrieben.
Unter so vielen anderen Büchern brannte auch Rainer Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ (2), der schon in der Weimarer Republik verfilmt worden war (3) und heute noch zu den besten Anti-Kriegsfilmen gehört. Wenn er (über den Ersten Weltkrieg) und „Die Brücke“ (über den Zweiten Weltkrieg; was für eine Welt, die ihre Weltkriege durchnumeriert; 4) nur immer und immer wieder im Fernsehen gezeigt würden, wenn ach so kluge Menschen über „Krieg als Mittel der Politik“ oder „Auslandseinsätze der Bundeswehr“ diskutieren – wir könnten uns Formulierungen wie „Posttraumatische Belastungsstörung“ für „Kriegstrauma“, die 5000 Bundeswehrpsychologen und die vielen „Militärseelsorger“ sparen. Krieg ist Krieg ist Krieg, und Krieg ist die Hölle auf Erden!
Auch Werke von Erich Kästner (5) brannten – und kontinuierlich verwandelte sich Deutschland in das Land, das sich 1945 hätte schämen und seiner Vergangenheit stellen müssen. „V wie Volksgerichtshof! A wie Aufhängen! T wie Tod! E wie Erschießen! R wie Rassenverfolgung! L wie Lager! Ausschwitz, Neuengamme, Dachau. Sehen Sie, so buchstabiert man heute in Deutschland Vaterland!“, sagt „Des Teufels General“ im gleichnamigen Film (6) nach dem Drama von Carl Zuckmayer, der auch ins Exil musste.
Aber erst 1970 (7) war mein Land bereit, Frieden auch mit seinen östlichen Nachbarn, denen es auch unfassbares Leid angetan hatte, zu schließen. Bis dahin herrschte „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“ (8), und auch und gerade „die führenden Repräsentanten der deutschen Gesellschaft“ wie Professoren, Bundeskanzler (9), Richter, Staatsanwälte (10), Fabrikanten (11), Ärzte, Lehrer und all die vielen Millionen Deutschen, die angeblich „von allem nichts gewusst“ (12) hatten, schwiegen und schwiegen und schwiegen.
Bücher halten die Geschichte fest, lassen Menschen zu Wort kommen, die schon längst nicht mehr sichtbar mit uns hier zusammen auf der Erde sind, und sind ewige Zeugen so vieler Lügen, Halb- und Unwahrheiten, die immer wieder verbreitet wurden. Am 4.Mai jährte sich der Todestag von Carl von Ossietzky zum 75. Mal, der 1936 den Friedensnobelpreis bekam, den er aber nicht in Empfang nehmen konnte, weil er im Konzentrationslager war (13). Auch er war ein „Moorsoldat“ (14), und auch ihr Lied steht in Büchern – leider lernt man es nicht als Volkslied im Musikunterricht, wo oft nur „Im Märzen der Bauer sein Rösslein einspannt“ (15).
Carl von Ossietzky, einer der größten Deutschen, bei dem in seiner „Weltbühne“ alle zu Wort kamen, hatte gesagt, dass die Weimarer Republik nicht eine „Republik ohne Republikaner“ sei, sondern vielmehr die Republikaner keine Republik hätten. Wie recht hatte er – er, der so vieles von Anfang an gewußt und nach Kräften mit Worten dagegen gekämpft hatte. Die wunderbare Sendung „Zeitzeichen“ vom 4. Mai zu seinem Todestag steht zum Download zur Verfügung (16).
17)
Carl von Ossietzky 1889; 1938) im Konzentrationslager Esterwegen (1934)
Vor 80 Jahren haben in Deutschland die Nazis viele der besten Bücher der Deutschen verbrannt – und so viele Menschen, die ihnen in die Hände fielen, sollten ihnen folgen (18). Wie konnte das nur geschehen (19) in meinem Land, das auf eine so große Literatur hätte stolz sein und sie schützen müssen (20)?
Nadja Thelen-Khoder
Anmerkungen:
(1) http://www.dhm.de/medien/lemo/videos/buecher
(2) http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/kunst/westen/index.html
(3) http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/130625/einer-der-ersten-synchronisierten-antikriegsspielfilme
(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Br%C3%BCcke_%281959%29
(5) http://www.deutschelyrik.de/index.php/kennst-du-das-land-wo-die-kanonen-bluehn-1203.html
(6) http://de.wikipedia.org/wiki/Des_Teufels_General_%28Film%29
(7) http://www.hdg.de/lemo/objekte/pict/BiographieBrandtWilly_photoBrandtKniefallBubi/index.html
(8) http://www.planet-wissen.de/alltag_gesundheit/lernen/universitaeten/img/intro_uni_revolte_g.jpg und http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/127552/
(9) http://www.taz.de/!88582/
(10) http://de.wikipedia.org/wiki/Rosen_f%C3%BCr_den_Staatsanwalt
(11) http://de.wikipedia.org/wiki/Die_M%C3%B6rder_sind_unter_uns
(12) http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_R_165_Bild-244-42,_Asperg,_Deportation_von_Sinti_und_Roma.jpg
(13) http://en.wikipedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-R70579,_Carl_von_Ossietzky_im_KZ.jpg
(14) http://www.diz-emslandlager.de/moorlied.htm
(15) http://www.volksliederarchiv.de/text508.html
(16) http://www.wdr5.de/nachhoeren/zeitzeichen.html vom 4. Mai 2013
(17) http://de.wikipedia.org/wiki/Ossietzky
(18) http://www.celan-projekt.de/todesfuge-deutsch.html
(19) http://www.migrapolis-deutschland.de/index.php?id=2429 und http://gabrieleweis.de/denkwerkstatt/literarisches/borchert-dann-gibt-es-nur-eins.htm
(20) http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_verbrannten_B%C3%BCcher_1933