Anwälte des Rechts

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Für Nelson Mandela (Todestag 5.12.2013), Willy Brandt (100. Geburtstag am 18.12.2013) und Fritz Bauer (50. Jahrestag des Auschwitzprozesses am 20.12.2013)

Wie mag sich Konrad Adenauer wohl gefühlt haben, als er gegen seinen sozialdemokratischen Gegenkandidaten mit hauchdünner Mehrheit zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde? Kurt Schumacher war zwölf Jahre unter den Nationalsozialisten im Konzentrationslager inhaftiert gewesen und hatte nur noch wenige Jahre zu leben. Über seinen Zwischenruf „Kanzler der Alliierten“ hat Konrad Adenauer sich jedenfalls sehr erregt.

Was mag Konrad Adenauer gedacht haben, als er Hans Globke zu seiner „Rechten Hand“ machte? Er hatte 1935 die „Rassegesetze“ der Nationalsozialisten, die „Nürnberger Gesetze“1 „kommentiert“2, also „handzahm“ gemacht: Bestimmungen über Erlaubnis bzw. Gültigkeit von Ehen zwischen Juden und Nicht-Juden, die Definition von „Voll- und Halbjuden“, die zusätzlichen Namen und das „J“ im Reisepaß, damit Flüchtlinge an der Grenze auffielen und vorher noch ordnungsgemäß beraubt werden konnten („Arisierung“) – das alles und noch viel mehr „kommentierte“ Hans Globke, das verdankten ihm die Nazis und damit eben auch das reiche Deutschland. Denn das geraubte Gut wurde den ehemaligen Besitzern nur in den seltensten Fällen zurückgegeben: Entweder waren sie ermordet worden3, hatten etwa aufgrund fehlender Nachweise keine Chance auf rechtliches Gehör oder mußten sich jahrelang durch zahlreiche Prozesse quälen, um wenigstens einen geringen Prozentsatz zurück zu erhalten (wie etwa Philipp Rosenthal, der von seiner enteigneten Porzellanmanufaktur ganze 14% zurückbekam).

Deutschlands „Wirtschaftswunder“ bzw. Reichtum nach dem Zweiten Weltkrieg basiert auf dem gigantischen Diebstahl vor allem an den europäischen Juden [ganze Banken, Fabriken, Grundstücke und Häuser, aber auch Gemälde (vor kurzem noch einmal aufgefallen durch das „Gurlitt-Vermögen“), Tafelsilber, Teppiche, Aussteuern, Bibliotheken, Möbel, Musikinstrumente u.v.a.m. [versteigert auch an die lieben Nachbarn, die später „von allem nichts gewusst“ hatten4], dem Raubzug gegen so viele andere Staaten [Rohstoffe wie Öl, Steine (z.B. Marmor) u.a. für Hitlers und Speers „Germania“ sowie zahlreiche Metalle] und ihre Bevölkerung (Millionen und Abermillionen Zwangsarbeiter schufteten als Sklaven in der deutschen Industrie) während des Zweiten Weltkrieges.

Und seinen Reichtum verdankt Deutschland auch dem Londoner Schuldenabkommen von 19535, in dem Deutschland seine Schulden weitgehend erlassen wurden. Daß Griechenland Deutschland einmal Schulden erlassen hat – nein, daran wird hier selten erinnert; andersherum ist’s den Deutschen angenehmer. (Mit den östlichen Nachbarn, also den Staaten, denen die Deutschen Warschau, Lidice, Leningrad, Stalingrad, Sobibor, Majdanek, Auschwitz, Belzec, Kulmenow und so viel anderes mehr angetan hatten, die man millionenfach verschleppt, zu Zwangsarbeitern gemacht und später ermordet hatte, wurde beim Londoner Schuldenabkommen gar nicht erst gesprochen. Auch das nennt man „Kalter Krieg“.)

Wie mag Konrad Adenauer geschlafen haben, als er Willy Brandt, der als Sozialdemokrat vor den Nazis nach Schweden fliehen mußte [Willy Brandt und viele Andere „emigrierten“ nicht, sie flohen vor den Nazis6], 1961 mit den drei Worten „Brandt alias Frahm“ beleidigte? Als Ernst Frahm unehelich geboren, hatte der spätere Friedensnobelpreisträger einen „Decknamen“ angenommen, um zwischenzeitlich während des spanischen Bürgerkrieges [in dem Adolf Hitler u.a. mit seiner „Legion Condor“ Franco zu Hilfe eilte, indem er die spanische Zivilbevölkerung bombardieren ließ7] in einer Hilfsorganisation zu arbeiten und auch in Nazi-Deutschland zeitweilig im Untergrund zu leben. Willy Brandt führte und gewann einhundert Prozesse gegen den geplanten Rufmord, die zahlreichen denunziatorischen Versuche, ihn wegen seiner Namensänderung, der unehelichen Herkunft (Darüber erregten sich die ehemaligen Nazis und Mitläufer sehr!) und wegen seines Widerstandes gegen die Nationalsozialisten zu beleidigen. Denn Widerstand war unter Konrad Adenauer „verpönt“; wer „nichts gewusst“8 haben und „Was hätten wir denn tuen sollen“ sagen will, wird diejenigen, die wussten und sich wehrten, verfluchen9. Und so verfluchten sie auch den Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, ohne den der Auschwitz-Prozess, der heute (am 20. Dezember 2013) vor 50 Jahren begann, nicht zustande gekommen wäre. Plötzlich standen sie vor einem deutschen Gericht, die braven Deutschen, die selbst als Adjutant des Lagerkommandeurs von Auschwitz „von allem nichts gewusst“ hatten – so lange, bis man ihnen ihre Paraffe vorlegte, ihre Unterschrift, mit der sie das Gas bestellten, um ihre Opfer zu ermorden; so lange, bis man ihnen die „Sterbebücher“ präsentierte und die genau bezifferten Gewichteinheiten des Zahngoldes und der Eheringe, das sie ihren Opfern aus dem Mund brechen und die sie den Menschen von den Fingern hatten abziehen lassen. Klehr, Boger, Mulka – Apotheker, Buchhalter, Tischler – Schlächter, Folterer, Mörder, die sich bestens organisiert an ihren Opfern vergingen und bis zum 20. Dezember 1963 als angesehene Bürger im „Wirtschaftswunder“ lebten. Wie hatte Heinrich Himmler in seiner Posener Rede 1943 gefordert? Morden – und dabei „anständig bleiben“! Bestialischste Verbrechen an Millionen Menschen begangen zu haben, sie planmäßig, bürokratisch, systematisch und industriell erst beraubt, gefoltert und ermordet zu haben und dabei „anständig“ geblieben zu sein: Das konnten wirklich nur Deutsche! Jedes Mal, wenn ich Frau Boger über ihre „harmonische“ Ehe in Auschwitz reden höre, läuft es mir eiskalt über den Rücken10.


Jüdische Familie dem Untergang geweiht11

„Daß es in unserem Leben eine Grenze gibt, wo wir nicht mehr mitmachen können“, sagte einer der größten Deutschen, die jemals gelebt haben. Fritz Bauer war „der größte lebende Zeuge ... für ein besseres Deutschland“, der „größte Botschafter, den die Bundesrepublik hatte“ (Robert Kempner, stellvertretender Hauptankläger der USA beim Nürnberger Prozeß). Der inzwischen preisgekrönte Film „Fritz Bauer. Tod auf Raten“12 von Ilona Ziok wird am 20. Dezember um 00:15 Uhr auf Phoenix erneut ausgestrahlt13. „Weitere Fernsehausstrahlungen folgen 2014, verstärkt auch im Ausland, denn das Interesse an der Person Bauers und an Ilona Zioks Film wächst ununterbrochen, der seit der Weltpremiere auf der Berlinale 2010 ohne Unterbrechung tourt, neben Deutschland auch in Russland und Polen! Im März ist die US-Premiere in Los Angeles, gefolgt von Chile und Brasilien sowie der 1. Ausstrahlung der BBC und im Französischen Fernsehen“, schreibt CV-Films stolz (mit Recht). Am 16. Dezember präsentierte das rheinland-pfälzische Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Ilona Zioks filmisches Meisterwerk. Anschließend folgt ein Filmgespräch mit der Regisseurin sowie der Fritz-Bauer-Biographin Irmtrud Wojak unter der Moderation von Thomas Leif vom SWR.

Am 17. März 2013 feierte „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ seine deutsche-schweizer-österreichische Fernsehpremiere, und ich war froh, als ich ihn über CV Films, PF 330152, 14171 Berlin bestellen konnte14; unfaßbarerweise gibt es den Film noch nicht im normalen Handel!

„Ich kann mir keinen größeren Betrug vorstellen“, schreibt Nelson Mandela15. Was nannte der Schwarze (Noah Sow) Prophet den „größten Betrug“? In den Massenmedien Südafrikas war noch vor Beginn des Generalstreikes, zu dem der ANC aufgerufen hatte, behauptet worden, daß sich die Menschen an dieser „Stay-at-home“-Kampagne 1962 nicht beteiligen würden, daß der friedliche Protest also keinen Sinn mache, daß er gescheitert sei.

27 Jahre hat der spätere Friedensnobelpreisträger und Präsident Südafrikas im Gefängnis ausharren müssen, um uns allen zu beweisen, daß friedlicher Protest nicht umsonst ist.

25 Jahre hat die Welt darauf warten müssen, bis der von Konrad Adenauer so angefeindete Willy Brandt als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland mit seinem Kniefall in Warschau eine wirklich anständige Geste zeigte16.

Achtzehn Jahre hatten die Opfer von Auschwitz darauf warten müssen, bis die deutsche Justiz sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus befaßte (zu der sie durch § 152 StPO verpflichtet war). Manchmal denke ich, daß es vielleicht kein Zufall ist, daß im gleichen Jahr vorher Konrad Adenauer und Hans Globke aus ihren Ämtern schieden.

Nelson Mandela war gerade in den Untergrund gegangen, als ich geboren wurde, und die ersten Jahrzehnte meines Lebens standen unter dem Licht dieses großen Propheten und dem Schatten, den seine Haftstrafe auf unsere Welt warf.

Willy Brandt wurde Bundeskanzler, als ich in die Grundschule ging und so auch in den Genuß der Abschaffung der Prügelstrafe an deutschen Schulen kam. Meine Eltern gehörten auch zu den „Vaterlandsverrätern“, als die manch ein Christdemokrat die Sozialdemokraten bezeichnete, weil sie Friedensverträge mit ihren östlichen Nachbarn schlossen und endlich die Grenzen anerkannten. Meine Eltern kannten Überlebende von Auschwitz und mein Vater erzählte zeit seines Lebens von seinem jüdischen Schulfreund, der an seinem 15. Geburtstag mit dem Fahrrad über die „Grüne Grenze“ floh und als einziger seiner Familie überlebte. Booms Arth kam mehrfach aus Kolumbien zu Besuch, und meine Großtante sagte zu ihm: „Arthur, ich schäme mich.“ Seine Eltern, seine Schwester und seine Oma waren ihre Nachbarn gewesen.

Gott segne Nelson Mandela, Willy Brandt und Fritz Bauer! Ich verdanke auch ihnen mein Leben – mein Leben voller Liebe zu und Hoffnung auf Menschlichkeit, voller Trauer und Zuversicht, voller manchmal schrecklicher Wahrheit und Treue, voller Schmerz und Glauben an eine bessere Zukunft.

„Daß es in unserem Leben eine Grenze gibt, wo wir nicht mehr mitmachen können“ und „Daß das Leben einen Sinn hat, wenn man sich für Recht und Gesetz und Brüderlichkeit einsetzt“ (Fritz Bauer) – dafür stehen diese drei Namen, die jetzt im Himmel mit Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Jesus Christus an einem Tisch sitzen „und sich alte Witze erzählen“ (Hanns-Dieter Hüsch).

Sie sind die Garanten einer besseren Zeit, wo der „größte Betrug“ nichts zählt. Daß Protest keinen Sinn hat, hört man immer wieder, und daß sich ja sowieso keiner interessiere. Deshalb wird der Film „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ wohl auch wieder nachts ausgestrahlt und nicht „zur besten Sendezeit“, die immer wieder mit einer „Einschaltquote“ begründet wird. Aber wer dem Publikum hinterherrennt, soll sich nicht wundern, wenn er immer nur dessen Hintern sieht.

Nelson Mandela, Willy Brandt und Fritz Bauer gingen uns voran, waren vor uns, mit uns und werden nach uns sein, weil die Wahrheit immer ans Licht kommt, in unseren Herzen brennt und in uns lebt. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amin!

Nadja Thelen-Khoder

Anmerkungen:

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Ihr Portalteam

(1) http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/nuernbergergesetze/index.html
(2) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/ff/Stuckart10.pdf
(3) http://www.oldenburger-lokalteil.de/2012/01/23/sichtbar-machen-durch-erinnerung/wallheimer/ (4) http://juden-in-cuxhaven.jimdo.com/juden-in-cuxhaven/das-bild-rassenschande-in-cuxhaven/ (5) http://de.wikipedia.org/wiki/Londoner_Schuldenabkommen
(6) höre im O-Ton Willy Brandt im Gespräch mit Günter Gaus, gesendet am 30.9.1964 in „Willy Brandt, Mehr Demokratie wagen. Reden und Interviews. Ausgewählt von Dorothee Meyer-Kahrweg“, der Hörverlag; 5 CDs (CD 2, Track 4-11)
(7) http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/d2a06029/index.html (Bild); dazu auch http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/aussenpolitik/spanischerbk/index.html
(8) http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/pli02843/index.html (trotz Propaganda hatten so viele nichts gewusst?)
(9) Daß Willy Brandt zeitweise ernsthaft überlegte, Deutschland wieder zu verlassen, habe ich durch Egon Bahrs Buch „Das musst Du erzählen“ erfahren (Hörbuch Hamburg; gekürzte Autorenlesung). Das hat mich zutiefst getroffen.
(10) „Der Frankfurter Auschwitz-Prozess. Eine Dokumentation von Rolf Bickel und Dietrich Wagner“; DVD (Eine Dokumentation des Hessischen Rundfunks, über Buchhandlungen zu bestellen)
(11) http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-74237- 004,_KZ_Auschwitz-Birkenau,_alte_Frau_und_Kinder.jpg
(12) www.fritz-bauer-film.de
(13) http://www.phoenix.de/content/phoenix/die_sendungen/fritz_bauer_tod_auf_raten/696536 (14) Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)
(15) Nelson Mandela: „Der Kampf ist mein Leben“ (S. 177); Dortmund 1986, Weltkreis
(16) http://www.hdg.de/lemo/objekte/pict/BiographieBrandtWilly_photoBrandtKniefallBubi/index.html

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