Alexander Walz
Fulda, Hessen
Mitgliederschwund: ein Naturgesetz?
Tätigkeitsbericht der Bundesgeschäftsstelle für die Jahre 2006 – 2009 zu der Bundes-Delegiertenversammlung am 14. – 15. November 2009 enthält folgenden Satz: „Der weitere Rückgang der Mitgliederzahlen findet seine Erklärung gewiss nicht im mangelndem Einsatz der ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter der Landsmannschaft, ist vielmehr im Wesentlichen die Folge einer allgemeinen Entwicklung, die auch in anderen Verbänden und Organisationen - Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, um nur einige zu nennen – zu einem erheblichen Mitgliederschwund geführt hat.“
Es ist also im Wesentlichen die Folge einer allgemeinen Entwicklung. Was ist das für eine allgemeine Entwicklung? Sind dieser unheimlichen allgemeinen Entwicklung wirklich alle unterworfen?
Schauen wir erstmal bei den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften der Polizei und Erziehung und Wissenschaft haben in der letzten Zeit einen Zuwachs bei den Mitgliedern verzeichnet. Der Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften insgesamt beträgt ungefähr 2,5-3% im Jahr. Zwischen 1999 und 2009 verlor die CDU rund 18% ihrer Mitglieder. Bei der SPD
waren es 32%. In den letzten 2 Jahren verlor die SPD jeweils ca. 3,1% und 3,5% der Mitglieder. Bei de CDU sind diese Werte entsprechend ca. 0,34% und 1,4% hoch.
CSU konnte ihren Mitgliederstand zwischen 1993 bis 2003 praktisch konstant halten. In den letzten Jahren hat sie Mitglieder verloren. Die Verluste waren aber nicht dramatisch. Die Grünen, FDP und die Linke konnten hingegen ihre Mitgliederzahlen in den letzten Jahren steigern. Es entstehen neue Parteien, bürgerliche Initiativen, Umweltbewegungen. Das Bild ist also nicht einheitlich. Von 1991 bis 2008 ist die Mitgliederzahl der katholischen Kirche um ca. 9% zurückgegangen. In gleichem Zeitraum ist die evangelische Kirche um ca. 11,5% geschrumpft. Im Jahre 2008 verloren beide Kirchen jeweils ca. 1,1% der
Mitglieder. Wie sieht es aber bei unserer Landsmannschaft aus? Wie schnell geht die
Mitgliederzahl bei uns zurück?
Laut offiziellen Daten aus dem Tätigkeitsbericht der Bundesgeschäftsstelle ist die Mitgliederzahl von 16.711 im Januar 2006 auf 13.673 im Januar 2009 gesunken. Das bedeutet eine Schrumpfung um 18,2% in drei Jahren. Einzeln nach den Jahren berechnet, ist die Schrumpfung jeweils 7,8%, 6,8% und 5,9% hoch. Keine von oben aufgeführten Organisationen kommt auch in die Nähe zu so einem Tempo von Zerfall.
Bei dem Versuch der Erklärung für den erheblichen Mitgliederschwund wird in dem Bericht der Bundesgeschäftsstelle behauptet, dass unsere Landsmannschaft außer der „allgemeinen Entwicklung“ darüber hinaus mit einer Reihe spezieller Faktoren zu tun hat. Wer sich über die Gründe für den Mitgliederschwund in den anderen Organisationen nur ansatzweise ein Bild macht, wird verstehen, dass alle diese Organisationen mit einer ganzen Reihe von speziellen Faktoren zu tun haben. Welche nicht einfacher, sondern umfangreicher und komplizierter sind, als dies in unserer Landsmannschaft der Fall ist. Der Grund für den andauernden und
erheblichen Mitgliederschwund sowohl in diesen Organisationen als auch in unserer Landsmannschaft liegt nicht in einer mystischen „allgemeinen Entwicklung“, sondern vielmehr in der Verweigerung der Realität, in den strategischen Fehlern, in der Unfähigkeit sich den geänderten Bedingungen anzupassen.
Es kann aber mancher sagen, dass ein direkter Vergleich zwischen unserer Landsmannschaft und den ganz großen Organisationen nicht ganz korrekt sein kann. Deshalb versuchen wir mal unsere Landsmannschaft mit dem Bundesverband der Siebenbürger Sachsen zu vergleichen.
In Deutschland leben heute ca. 250.000 Siebenbürger Sachsen. Die Mitgliederzahl (oder Familienanzahl der Mitglieder) bei dem Bundesverband der Siebenbürger Sachsen betrug Anfang 2009 ca. 22.000. Seit 1950 sind in Deutschland ca. 2.350.000 Deutschen aus Russland aufgenommen worden. Nehmen wir an, dass nur 1.000.000 von denen ausreichende
Sprachkenntnisse zum Lesen von VadW haben. Die Mitgliederzahl unserer Landsmannschaft betrug im Januar 2009 13.673.
Somit haben wir bei einem vier Mal größeren Potenzial nur 62% der Mitgliederzahl vom Verband der Siebenbürger Sachsen. Beim vollen Ausschöpfen des Potentials von 1.000.000 der Deutschsprechenden könnten wir folglich ca. 22.000 x 4 = 88.000 Mitglieder haben.
Im Jahre 1999 hatten die Siebenbürger Sachsen ca. 25.000 Mitglieder. Bis zum Jahr 2009 ist diese Zahl auf 22.000 gesunken. Mitgliederschwund im Laufe von 10 Jahren um ca. 12%.
Mir ist bekannt, dass die höchste Mitgliederzahl unserer Landsmannschaft bei ca. 30.000 Mitgliedern lag. Nehmen wir an, dass diese Mitgliederzahl im Jahre 1999 schon 26.000 Mitglieder betrug. Zum Anfang 2009 hatten wir 13.673 Mitglieder. Mitgliederschwund um ca. 47,4%. Somit schwindet unsere Mitgliederzahl fast 4 Mal schneller als bei dem Verband der Siebenbürger Sachsen. Bald werden wir nur die Hälfte von deren Mitgliedern haben. Bei einem mindestens vier Mal größeren Potenzial. Selbst das, was wir schon haben, sind wir unfähig zu halten. An dieser Stelle möchte ich noch ein Mal die erste Hälfte des oben schon
aufgeführten Satzes aus dem Bericht zitieren: „Der weitere Rückgang der Mitgliederzahlen findet seine Erklärung gewiss nicht im mangelndem Einsatz der ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter der Landsmannschaft…“ Das behauptet ja auch kaum jemand. Man bekommt bei dieser Referenz den Eindruck, dass es versucht wird nur von der allgemeinen Praxis abzulenken. Nämlich von der, dass für andauernde Missstände in jeder Organisation in erster Linie die Führung dieser Organisation verantwortlich ist. Nach zwei, drei Jahren mit roten Zahlen (umso mehr mit solchen Zahlen wie bei uns!) riskiert jeder Manager, jeder Fußballtrainer, jeder Redakteur, jeder Vorsitzende seinen Job zu verlieren. Nur bei uns ist das anders.
Alexander Walz
9. November, 2009